Tja, nun habe ich doch etwas dazu gelernt. Ich habe mich wohl zu sehr auf zeitgenössische Zitate wie z. B. bei V. Laverrenz, Deutschlands Kriegsflotte, 1906, Reprint 2007, Seite 498: "Bei "Klar Schiff zum Gefecht" wird die Kriegsflagge in allen Toppen gesetzt; sonst weht sie im Hafen an einem am Heck des Schiffes angebrachten Flaggenstock, in See an der Gaffel des hinteren Mastes." verlassen. Das war wohl in der Praxis die Regel, aber - wie sich schon aus Sealords Zitat aus der Flaggenordnung in # 48 ergibt - nicht zwingend vorgeschrieben. Ich habe jedenfalls jetzt noch mal intensiver in meinen Fotobestand gesehen und festgestellt, dass bei den Fotos, auf denen die Flagge überhaupt zu sehen ist (wie sich auch schon aus # 48 ergibt, wurde sie ja nicht immer geführt), zwar der deutlich größere Teil der oben zitierten Regel entspricht, es gibt aber doch auch etliche Fotos, auf denen auf See die Kriegsflagge am Heck geführt wurde, und ganz vereinzelt auch Fotos, auf denen sie bei im Hafen liegenden Schiff in Friedenszeiten an der Gaffel wehte. Insofern beruhte meine kategorische Behauptung in # 51, ich würde keine solchen Fotos kennen, auf einer falschen Wahrnehmung und Erinnerung. Dasselbe gilt übrigens auch für die kuk-Marine in Friedenszeiten.
Insofern hat sich meine Bitte an Herrn Klinger in # 51 erledigt, ich hätte einfach selbst genauer in meinen Fotobestand sehen sollen. Aber das ist ja der Sinn dieses Forums, dass man durch Austausch zu neuen Erkenntnissen gelangt. Ich schließe mich deshalb dem Dank von Manfred Grimm in # 50 an.
Zum Schluss vielleicht noch ein Hinweis auf die in # 52 angesprochene Situation eines Seegefechts: An sich war vorgeschrieben, die Flagge im Gefecht in allen Toppen zu setzen. Das sollte wohl im Nahkampf, wie man ihn aus dem 19. Jahrhundert (z. B. Lissa 1866) kannte, die Erkennbarkeit von Freund und Feind erleichtern. Außerdem galt das Streichen der Flagge als Kapitulation, und deshalb sollten für den Fall, dass eine Flagge weggeschossen wurde, noch weitere Flaggen anzeigen, dass das Schiff weiterkämpfte. Schließlich wirkte ein Schiff mit den Flaggen in den Toppen bedrohlicher, und die Vielzahl eigener Flaggen hatte vielleicht auch einen positiven Einfluss auf die Moral der Besatzung. So dürfte man am Beginn des 1. Weltkriegs in der Kaiserlichen Marine tatsächlich verfahren sein, also z. B. wohl bei Coronel und bei den Falklandinseln 1914. Es gibt auch Berichte aus der Skagerrakschlacht 1916, wonach einige britische Schlachtschiffe (die zur Hauptflotte gehörten) sich zum Gefecht mit vielen und extra großen Kriegsflaggen "geschmückt" hatten.
Auf der anderen Seite erleichterten diese großen Flaggen in den Masttoppen dem Gegner aber auf größere Entfernung (und es zeigte sich im 1. Weltkrieg schnell, dass Gefechte in aller Regel auf größere Entfernungen geführt wurden) das Erkennen des Schiffes und die Entfernungsmessung (für die Artillerie). Deshalb wurden zumindest in der Kaiserlichen Marine sehr bald, jedenfalls schon vor der Skagerrakschlacht, im Gefecht in der Regel keine Toppflaggen mehr gesetzt und auch an der Gaffel deutlich kleinere Kriegsflaggen geführt als in Friedenszeiten. Fotos aus der Skagerrakschlacht zeigen, dass die britischen Schlachtkreuzer (die zu den Aufklärungseinheiten gehörten) auch keine Gefechtsflaggen in den Toppen mehr führten.
Letztlich hing es aber sicher von der konkreten taktischen Situation und von der Entscheidung des Befehlshabers ab, ob im Gefecht zusätzliche Toppflaggen gesetzt wurden oder nicht.
Viele Grüße
Sammler