Liebes Forum,
in Kassel konnte ich das wunderschöne Diorama über das Teerennen zwischen der THERMOPYLAE und der CUTTY SARK, welches Roland Klinger hier aus seiner Seekiste (# 1 vom 24.05.2024) vorgestellt hat, im Original betrachten. Für mich ein Anlass, über eine bedeutende historische Entwicklungen in der Schifffahrt zu schreiben, die mit dem Teehandel unmittelbar zusammenhängt.
Der erste Tee aus China und Japan erreichte England mit den Importen der East India Company in der Mitte des 17. Jahrhunderts, Tee wurde rasch zum Nationalgetränk.
Die Schiffe der East India Company benötigten für eine Rundreise nach China und zurück nahezu 3 Jahre, der Tee war etwa 18 Monate auf der Rückreise unterwegs, bevor er den englischen Markt erreichte. Die lange Reise ging zulasten von Qualität und Aroma.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verlor die East India Company ihr staatlich garantiertes Handelsmonopol und private Unternehmer stiegen in den freien Handel ein. Sogleich entstand eine starke Nachfrage nach einem schnelleren Seetransport, weil der frischere Tee einer Ernte höhere Preise erzielte und gleichzeitig für die Händler der Zeitraum der Zwischenfinanzierung verkürzt wurde.
Die schnellen Klipper, die in den 1850ger und 1860ger Jahren gebaut wurden, waren hierfür die ideale Lösung. Sie benötigten für die Reise von China zur Themse zwischen nur 3 bis 5 Monate. Es wurden regelrechte Rennen ausgetragen, bei denen es darum ging, möglichst den ersten Tee der neuen Ernte nach England zu bringen und damit den höchsten Preis zu erzielen.
Das berühmteste und eines der schnellsten Teerennen fand in der Erntesaison 1866 statt, es wurde als „The great Tea Race“ bezeichnet. Zwischen dem 29. Mai und dem 6. Juni verließen 9 vollbeladene Schiffe den Hafen von Foochow, durchsegelten das Südchinesische Meer, die Sunda-Straße, und den Indischen Ozean um das Kap der Guten Hoffnung herum in den Atlantischen Ozean hinauf zum Ärmelkanal. Die drei schnellsten Klipper waren in der Folge ihrer Ankunft: die TAEPING, die ARIEL und die SERICA. Sie benötigten 99 Tage für die Distanz von 13.960 sm.
Beim Teerennen von 1872 zwischen der THERMOPYLAE und der CUTTY SARK siegte die THERMOPYLAE mit einer Reisezeit von 106 Tagen, die CUTTY SARK erreichte die Themsemündung aufgrund eines Ruderschadens erst 9 Tage später. Dies war das letzte Teerennen.
THERMOPYLAE, 1868 von W. Hood & Co., Aberdeen an Aberdeen Line, Kompositbau (Holz auf Eisenspanten) Vollschiff (64,6m/11,7m/6,8m/991GRT) ca. 1.400tdw
bestes Etmal 348 sm = 14,5kn, Verbleib: 1896 Portugiesisches Schulschiff, 1907 durch absichtliche Versenkung entsorgt.
Die o.g. Klipper wurden alle in den 1860ger Jahren gebaut, zu dieser Zeit verkehrten jedoch bereits fahrplanmäßig mit weitgehend zuverlässigen Abfahrts- und Ankunftszeiten Dampfschiffe auf dem Nordatlantik und im Mittelmeer. Die Nordatlantikpassage z.B. von Southampton nach New York dauerte je nach Leistung von Schiff und Maschine nur noch 9 bis 14 Tage, die Dampfer waren dabei relativ unabhängig von den Windverhältnissen und konnten einen direkteren Kurs nehmen.
Der Einsatz von Dampfschiffen, mit ihren kürzeren Reisezeiten, auch in der Fernostfahrt lag daher nahe. Doch dafür gab es ein bekanntes technisches Hindernis, welches den im Chinahandel tätigen Unternehmer Samuel Rathbone 1864 bei einem Meeting Liverpooler Kaufleute zu folgender Feststellung veranlasste: „Dampfschiffe sind in der Lage, den Seeverkehr im Mittelmeer zu übernehmen, mögen sich noch bis nach Brasilien, zum La Plata vorwagen – aber mindestens China bleibt den Segelschiffen vorbehalten.“
Ein Beispiel für einen damaligen Transatlantikliner ist die 1866 gebaute PÉREIRE:
PÉREIRE, 1866 von Robert Napier & Sons, Glasgow an CGT French Line, Paris, eiserner Dampfer
(105,2m/13,3m/8,8m/3150GRT), 320 Passagiere, ca. 1.350tdw
2 x 1 Zyl. Dampfmaschine ttl. 2.516 BHP, Kesseldruck 23lb, 1xProp., 13,0kn
(ursprünglich mit seitlichen Schaufelrädern bestellt, dann aber Umbestellung auf Propeller)
Verbleib: 1872 Einbau Compoud Maschine, zwei Schornsteine, 1888 Umbau zur 4-Mast Bark LANCING, ein schneller Segler, 1924 in Genua verschrottet.
Zwar liegen für die PÉREIRE selbst keine Daten über den Brennstoffverbrauch vor, doch folgt man Berechnungen für die Maschinenleistung und den Angaben vergleichbarer Schiffe dürfte der Kohleverbrauch in der Nähe von 85 Tonnen pro Tag gelegen haben. Das Schiff konnte abgesehen von den Passagieren etwa 1.350 t Fracht transportieren, bei einem angegebenen Kohlevorrat von ca. 1.200 t.
Das Problem war der enorme Energieverbrauch, er war so hoch, dass der Kohlevorrat (Bunkerbestand) einen großen Teil der Tragfähigkeit der Dampfer beanspruchte. Mit geringeren Vorräten konnte man nur fahren, wenn unterwegs Bunkerstationen angelaufen werden konnten, was an den Europäischen und Nordamerikanischen Küsten kein großes Problem war.
Für eine Reise nach China jedoch, bei der die nächstgelegene Bunkerstation sich am Kap der guten Hoffnung oder auf Mauritius befand, ist ein Kohlevorrat, der nahezu die Hälfte der Transportkapazität einnimmt und dabei einen Radius von z.B. maximal 14 Tage erlaubt, ein großes Hindernis und zudem völlig unwirtschaftlich.
Es brauchte also eine Dampfmaschine, die den Brennstoff effizienter in Vortriebsenergie umwandelt. Die gab es bereits bei der Eisenbahn seit Ende der 1850ger Jahre: die Compound Maschine. Bei dieser arbeitet der Dampf zunächst in einem Hochdruckzylinder und wurde danach nicht in die Atmosphäre oder den Kondensator entlassen, sondern arbeitete vorher noch in einem zweiten nachgeschalteten Zylinder mit niedrigerem Druck. Die Compound Maschinen der Eisenbahn wurden dabei mit viel höherem Kesseldruck (120lb p. sq. inch) betrieben, als die herkömmlichen Dampfmaschinen mit einfacher Expansion.
Im Jahr 1861 stellte P&O mit der 2.257 GRT großen MOOLTAN erstmals ein Schiff mit einer Compound Maschine auf der Route Southampton – Alexandria in Dienst. Der Kessel arbeitete noch mit einem Druck von 20lb, das Schiff erreichte eine durchschnittliche Geschwindigkeit von 10,6kn und verbrauchte dabei nur noch 28 Tonnen Kohle pro Tag, um etwa die Hälfte niedriger als bei gleich großen Schiffen mit vergleichbarer Leistung. Doch im weiteren Betrieb stellte sich die Unzuverlässigkeit der von Wolf Esq. entworfenen Maschinenanlage heraus. Bei mehreren Ausfällen, musste sogar die Post auf andere Dampfer umgeladen werden. (P&O entschied sich im Jahr 1866 zum Einbau einer komplett neuen Antriebsanlage).
Im Jahr 1864 zog sich der Eisenbahningenieur und Reeder Alfred Holt wegen der damals krisenhaften Marktentwicklung mit seinen Geschäftspartnern zunächst aus der Schifffahrt zurück, behielt jedoch ein Schiff aus der Flotte, die CLEATOR, mit der er auf eigene Rechnung seine technischen Ideen für einen neuen Schiffsantrieb ausprobierte. Neben einer neu konfigurierten Compound Maschine erhielt das Schiff einen Hochdruckboiler, der mit einem Druck von 60lb per sq. inch arbeitete.
Mit dem erfolgreichen Versuchs-Betrieb der CLEATOR überzeugte Alfred Holt das Board of Trade, welches den Betrieb von Dampfschiffen zu genehmigen hatte und dabei den Einsatz von Kesseln mit einem Druck von mehr als 25lb per sq. inch in der Schifffahrt aus Sicherheitsgründen bisher für nicht genehmigungsfähig hielt.
Danach bestellte Holt bei Scott & Co. Greenock drei Neubauten, AGAMEMNON, AJAX und ACHILLES. Die identischen Schiffe und Maschinen waren von ihm, basierend auf den Erfahrungen mit der CLEATOR, selbst konstruiert. Sie wiesen im wesentlichen folgende Merkmale auf:
1) schlanker Eisen-Rumpf mit geradem Steven, in verhältnismäßig gewichtssparender Bauweise
2) kompakte und sehr platzsparend konstruierte Compound Maschine
3) neuartiger Hochdruckkessel mit einem Arbeits-Druck von 60lb/sq. inch
AGAMEMNON 1866 von Scott & Co., Greenock an Ocean Steamship & Co., Livepool, eiserner Dampfer (94,3m/11,8m/6,3m/2.270GRT) ca. 3.000tdw, 1x Compound Dampfmaschine, 945 IHP, Kesseldruck 60lb, 1xProp., 10,0kn, Verbleib: 1899 in Italien verschrottet.
Am 19. April 1866 absolvierte die AGAMEMNON ihre Jungfernfahrt nach Fernost (zur Erinnerung: am 29. Mai 1866 startete in Foochow das „Great Tea Race“ der Klipper zur Themse s.o.). Die Reise war ein durchschlagender Erfolg. Das Schiff verbrauchte bei einer Geschwindigkeit von durchschnittlich 10,0kn nur knapp über 20 t Kohle pro Tag.
Outbound führte die Reise von Liverpool über das Cap der Guten Hoffnung nonstop nach Mauritius (Bunkerstopp) und dann zu den Löschhäfen Penang, Singapore und Hong Kong in 65 Tagen. Die Rückreise nach Liverpool dauerte mit Beladung in Shanghai und Foochow 66 Tage. Das einzige Problem war, dass der Handel noch nicht auf ein Schiff dieser Größe eingestellt war und einige Quellen berichten, dass neben Tee auch andere Güter geladen wurden und Hankou als zusätzlicher Ladehafen angelaufen werden musste, um das Schiff für die Rückreise ausreichend auszulasten.
Die AGAMEMNON beendete ihre Rückreise in Liverpool Ende August 1866, die schnellsten drei Teeklipper des „Great Tea Race“ erreichten England erst eine Woche später!
Damit gehörte die Zukunft im Seehandel bis auf weiteres dem Dampfschiff.
Im Jahr 1869 wurde die AGAMEMNON in Hankou mit 1.141 t Tee beladen, es war die bis dahin größte Teeladung, die jemals mit einem einzelnen Schiff transportiert wurde (sie war damit zu etwa 85% ausgelastet). Die Fracht betrug 28.087 Pfund Sterling (der Bau des Schiffes hatte 52.000 PST gekostet).
Zum Vergl. die größte gefahrene Teeladung der THERMOPYLAE betrug bei voller Raumauslastung 648 t.
Im November 1869 eröffnete der Suezkanal, die Reisezeit der Dampfer von/nach China verkürzte sich dadurch in jede Richtung um etwa 12 Tage (mit möglichem Bunkerstopp in Aden).
Im Jahr 1875 verzeichnete Lloyds Register erstmals mehr Dampfschiffsneubauten als Neubauten von Segelschiffen, später wurde das Prinzip der Compound Maschine mit zweifacher Expansion zur Dreifach- und Vierfach- Expansionsdampfmaschine weiterentwickelt.
THERMOPYLAE (GEM913002), PÉREIRE (SM23), AGAMEMNON (SM30)
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Grüße aus Bremen